Ein Feminismus der Liebe: Zum Tod der afroamerikanischen Feministin bell hooks

 

Dieser Nachruf auf die afroamerikanische Feministin bell hooks ist in leicht veränderter Fassung am 20. Dezember 2021 in der NZZ erschienen.

 

„Unsere Nation hat eine produktive Autorin, Aktivistin und Vorreiterin verloren. bell hooks’ profunder und positiver Einfluss wird für Generationen mit uns sein. Möge sie in Kraft ruhen.“ In diese Worte kleidete die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris, ihre Trauer über den Tod einer der einflussreichsten feministischen Stimmen der jüngsten Zeit. Verwurzelt in der prophetischen Tradition des Christentums war bell hooks (*1952) nicht nur eine kraftvolle Visionärin, ihre Kraft wirkte auch unmittelbar.

Afroamerikanische Intellektualität entwickeln

 
Immer und immer wieder imaginierte sie in ihrem umfangreichen Werk und an ihren Auftritten eine gewaltfreie Zukunft. In besonderem Mass litt sie als afroamerikanische Frau unter der Gewalt eines „imperialistischen, rassistischen, kapitalistischen Patriarchats“, wie sie die Gesellschaftsstruktur der USA zu benennen pflegte. Und dennoch stand sie unablässig und frei von kleinlichen Rachegefühlen für eine neue Gesellschaft ein, die getragen sein sollte von Liebe.

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Die Politik des freien Verses

 

Eine gekürzte Fassung unter dem Titel „Das Gedicht hat seine Fesseln abgelegt, nun irrt es ziellos umher“ hat die NZZ am 22. Mai 2021 publiziert.

 

Der freie Vers? Ein alter Hut. – Seine Wurzeln reichen bald drei Jahrhunderte zurück, etwa zu Klopstock. Und sein aufsehenerregender Durchbruch zu einem dominanten literarischen Phänomen Mitte des 20. Jahrhunderts ist auch schon mehr als ein halbes Jahrhundert her. Mittlerweile erscheint, was Gedicht sein will, meist im freien Vers. Manche atmen darob auf und sagen immer noch mit dem Pathos des Neuen: endlich kein Metrum, endlich kein Reim mehr. Das Gedicht ist an nichts mehr gebunden.

Seither fehlen neue Gedichtformen weitgehend. Und ich werde ein Unbehagen nicht los, das mit dem ästhetischen Prinzip des freien Verses zusammenhängt. Dieses will dem dichtenden Menschen und seinen Gegenständen im Einzelnen gerecht werden. Aber immer wieder beschleicht mich der Verdacht, der freie Vers könnte, obwohl er als Ausdrucksform dem Einzelnen gerecht werden möchte, im Ganzen ungerecht – und damit unfrei – sein.

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Da ist (immer) noch ein anderer Mensch

 

Dieser Text erschien am 29. Dezember 2019 in der NZZ. Leider befindet sich der Text bei der NZZ hinter der Paywall und ist entsprechend nicht frei zugänglich.

 

„Meine Frau hat sich in einen anderen verliebt.“

Lukas redet schnell und laut. Zwischen seine Sätze streut er erzwungene Lacher. Neben ihm sitzt seine Frau, Vera. Sie hat noch nichts gesagt, noch nichts sagen müssen.

Die beiden sitzen in einer Runde, beim monatlichen Polyamorie-Treff in Leipzig. Die Leute stellen sich reihum vor, oft verbunden mit einer Art Outing: „Ich bin seit so und so vielen Jahren poly.“

Lukas und Vera sind nach längerer Beziehung seit sechs Monaten verheiratet. Heute besuchen sie zum ersten Mal den Polyamorie-Treff. Und Lukas schildert ein alltägliches, aber deshalb um nichts weniger schmerzhaftes Drama.

Wovon reden wir?

 
Polyamorie: Das hört sich zunächst nach einem schicken Modewort an. Häufig wird der Begriff synonym mit ‚offene Beziehung‘ verwendet – und meint dann einfachen Sex und kürzere Affären ausserhalb einer klar definierten Kernbeziehung.

Allerdings kann Polyamorie mehr heissen, nämlich „verantwortungsvolle Nicht-Monogamie“, in der „alle involvierten Personen mit allen Bedingungen und Voraussetzungen einverstanden und sich aus eigenem Willen darauf einlassen“. So jedenfalls definieren Thomas Schroedter und Christina Vetter die Beziehungsform in ihrem theoretischen Überblick.

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