Ein Feminismus der Liebe: Zum Tod der afroamerikanischen Feministin bell hooks

 

Dieser Nachruf auf die afroamerikanische Feministin bell hooks ist in leicht veränderter Fassung am 20. Dezember 2021 in der NZZ erschienen.

 

„Unsere Nation hat eine produktive Autorin, Aktivistin und Vorreiterin verloren. bell hooks’ profunder und positiver Einfluss wird für Generationen mit uns sein. Möge sie in Kraft ruhen.“ In diese Worte kleidete die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris, ihre Trauer über den Tod einer der einflussreichsten feministischen Stimmen der jüngsten Zeit. Verwurzelt in der prophetischen Tradition des Christentums war bell hooks (*1952) nicht nur eine kraftvolle Visionärin, ihre Kraft wirkte auch unmittelbar.

Afroamerikanische Intellektualität entwickeln

 
Immer und immer wieder imaginierte sie in ihrem umfangreichen Werk und an ihren Auftritten eine gewaltfreie Zukunft. In besonderem Mass litt sie als afroamerikanische Frau unter der Gewalt eines „imperialistischen, rassistischen, kapitalistischen Patriarchats“, wie sie die Gesellschaftsstruktur der USA zu benennen pflegte. Und dennoch stand sie unablässig und frei von kleinlichen Rachegefühlen für eine neue Gesellschaft ein, die getragen sein sollte von Liebe.

Wie sie etwa im Oktober 2014 an der New School mit Cornell West, Professor an den Universitäten Princeton und Harvard, auf der Bühne metaphorisch das Brot brach, so der Titel ihres gemeinsamen Buchs von 1991, ist unvergesslich. Trotz aller Verletzungen in ihren Emanzipationskämpfen erhielten sich beide, die womöglich erste Schwarze Dozentin und der womöglich erste Schwarze Dozent in gemeinsamer Debatte an der renomierten Universität Yale Ender der 80er Anfang der 90er, ihre Freude. Und während hooks standhaft Wests Sexismus anprangerte, feierten diese Leuchttürme afroamerikanischer Intellektualität mit einem inspirierenden Dialog reich an Analyse, Geschichte und Tagespolitik in ihrer Freundschaft die Hoffnung auf eine bessere Welt.

Feminismu lehren an der Basis

 
Im Gegensatz zu West entsagte hooks, die ihren Geburtsnamen Gloria Watkins zugunsten des Namens ihrer indigenen Grossmutter aufgegeben hatte, einer prestigeträchtigen Universitätskarriere. Die Literaturwissenschaftlerin wechselte 2004 vom City College in New York ans Berea College in ihrer Heimat Kentucky, dem ersten koedukativen College für Studierende unterschiedlicher ‹Rassenzugehörigkeit› in den Südstaaten. Eine Quelle der Kraft war hooks nicht nur für die afroamerikanische Gemeinschaft und speziell die afroamerikanischen Frauen, sondern für die Frauen überhaupt. Längst ist ihr Name in den feministischen Debatten Europas angekommen. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal führt hooks in ihrer Kulturgeschichte der „Vergewaltigung“ (2016) ebenso an wie die Journalistin Şeyda Kurt in ihrem Plädoyer für „Radikale Zärtlichkeit“ (2021).

Die Hand zur Versöhnung reichen

 
Der Femismus, den hooks vertrat, blieb nicht in feministischer Abgrenzung gefangen, sondern erstreckte sich trotz unerbittlicher Kritik am Patriarchat mit versöhnlichen Gesten der Liebe auf die Männer. Das vielleicht verblüffendste Zeugnis ihrer Wirkmächtigkeit sind die „Success Stories“ in einem kalifornischen Gefängnis. In Eigeninitiative organiserte der Häftling Richard Edmond Vargas inspiriert von hooks’ „Der Wille zur Veränderung – Männer, Männlichkeit und Liebe“ (2004) Workshops über toxische Männlichkeit mit seinen Mithäftlingen. Der Film „The feminist on cell block Y“ (2018) dokumentiert diese unwahrscheinlichste aller Wirkungen.

Dass der Tod von bell hooks in die Adventszeit fällt, hat Symbolkraft. Beharrlich vertraute sie auf die Ankunft einer besseren Welt, verwurzelt blieb sie in der jesuanischen Botschaft der Versöhnung. Am 15. Dezember 2021 ist eine unentbehrliche Stimme von uns gegangen.

 

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