Das Lügenmuseum: Eine echt ostdeutsche Institution mit internationaler Strahlkraft

 

Dieser Text ist in leicht gekürzter Fassung am 05.10.2024 in der FAZ erschienen. Dabei ist dem Redigat ein marginaler, aber folgenschwerer Fehler bei den grammatischen Zeiten unterlaufen. Diesen Satz («Zwölf Jahre später allerdings flattert die Kündigung ins Haus.») setzte das Redigat aufgrund des Präteritums im vorangegangen Abschnitt fälschlicherweise in die Vergangenheit. Selbstverständlich wiegten sich Zabkas vor der Kündigung in Sicherheit, nicht nach der Kündigung. Sicherheit und Kündigung treffen also nur in einem kurzen Moment aufeinander. Seither herrscht im Lügenmuseum die grösste Unsicherheit.

 

Ab jetzt wird nicht mehr gelogen! Was in den meisten Fällen begrüssenswert wäre, ist im Fall Radebeul nicht nur bedauerlich, sondern wahrscheinlich auch – gelogen. Tatsache ist: Seit dem 1. September ist das Lügenmuseum im denkmalgeschützten Radebeuler Gasthof Serkowitz, das Reinhard Zabka als «Wahres Deutsch-Historisches Lügenmuseum» 1990 im Dorf Babe in Brandenburg gründete, für Besucher geschlossen.

2012 kommt das eigenwillige Museum wegen Mietstreitigkeiten aus dem brandenburgischen Kyritz nach Radebeul. Schon davor gestaltete Zabka jeweils das Labyrinth, eine begehbare Holzskulptur, die alljährlich zum Ende des Weinfests den Flammen anheimfällt. So bietet Radebeul dem Lügenmuseum ein Zuhause im Gasthof, den die Stadt zwei Jahre davor erworben hat, um einem Kauf durch rechtsextreme Interessenten vorzubeugen. Die provisorische Nutzung des maroden Gebäudes – unter anderem klafft ein Loch im Dach – kommt der Stadt vielleicht nicht ungelegen. Sie saniert notdürftig und überlässt das Gebäude zum Betriebskostenpreis.

Zwölf Jahre später allerdings flattert die Kündigung ins Haus. Zabka und seine Frau Dorota dagegen pochen darauf, das Gebäude durch ihre Nutzung nicht nur vor dem Verfall bewahrt, sondern auch aufgewertet zu haben, und wiegen sich in Sicherheit: dank Preisen – etwa des Radebeuler Kunstpreises 2016 oder des Preises «machen!2023» der Stiftung Engagement und Ehrenamt – und der Aufnahme in die Kulturentwicklungskonzeption Radebeuls.

Diese gleicht jedoch eher einer Bestandsaufnahme als einer verbindlichen Strategie. Der Stadtrat segnet im Wesentlichen nichts ab. Und ein Gutachten beziffert den Sanierungsbedarf für den Gasthof Serkowitz auf 3,5 Millionen. Das Sicherheitsrisiko scheint für die Stadt ebenso untragbar wie diese individuelle Künstlerförderung. Die Kassen sind klamm. Das Haus muss veräußert werden. Allein die Kündigungsfrist stellt Zabkas vor unlösbare Probleme.

Das Haus beherbergt eine Vielzahl an Exponaten, deren Transport eine wahre Herausforderung darstellt. Reichhaltig arrangierte Schaukästen sind vergleichsweise leicht zu dislozieren. Aber was soll auf die Schnelle mit fein austarierten Bewegungsapparaten und filigranen Klanginstallationen passieren? Was mit meterhohen Skulpturen?

Der Oberbürgermeister zeigt sich grosszügig. Mittels befristeten Vertrags dürfen Zabkas ihre Kunstwerke bis Ende März 2025 im Gasthof lagern. Das Museum allerdings muss geschlossen bleiben und eine Wohnnutzung des Gebäudes ist explizit untersagt. Aus Angst vor dem Verlust von Gewohnheitsrechten unterzeichnen Zabkas den Vertrag nicht. Da kein gültiges Mietsverhältnis mehr besteht, ist das Museum mittlerweile ein rechtsfreier Raum.

Aber wer soll im Reich der Lüge schon recht haben? Im Museum klimpert und klackert es aus allen Ecken. Skurrile Apparate bringen – wie in den Skulpturen Jean Tinguelys – eine Kuhglocke und eine abgerissene Schweizerfahne oder Klöppel einer Art Xylophon in Schwung. Teils Objektkunstsammlung, teils Kunstarchiv – aber wem gehören die gesammelten Kunstwerke und Nachlässe von DDR-Künstlern eigentlich? – umspannt das Lügenmuseum als lebendiges Pendant zum neuen Archiv der Avantgarden in Dresden über ein halbes Jahrhundert avantgardistischer Praxis. Augen und Ohren verlieren sich in der fantastischen Überfülle. Nicht zuletzt für Kinder bietet eine solch märchenhafte Wunderkammer allerlei Faszinierendes.

Dämmrig sind die Gänge und Räume auch am helllichten Tag, aus dem Zwielicht der Illusion leuchten überall träumerisch-bunte Lampen. Illusionen dürfte sich auch die Stadt gemacht haben. Ob ein Provisorium nach zwölf Jahren noch eines ist? Zwischen Langmut, den selbst die kritischen Grünen dem Oberbürgermeister attestieren, und bequemer Spekulationshoffnung verschwimmt die Realität mit jedem Jahr etwas mehr.

Solange das Lügenmuseum noch im Gebäude ist, wird die Stadt den Gasthof Serkowitz jedenfalls nicht los. Ob ohne Museum, bleibt fraglich. An einer erster Ausschreibung 2022 zeigt auf Empfehlung Zabkas hin nur Ruprecht Frieling Interesse. Seine Prinz Rupi-Stiftung soll das Haus erwerben und in Stand stellen, um das Lügenmuseum langfristig zu sichern. Die geforderten Sanierungsgarantien weist Frieling jedoch zurück. Auf eine modifizierte Ausschreibung 2023 hin meldet sich wieder nur Frieling. Dieses Mal scheitert der Kauf an Differenzen zwischen Zabka und Frieling hinsichtlich der Entwicklung des Museums.

Der Mehrheit im Stadtrat dürfte lieb sein, dass es aufgrund der Kündigung nun vorwärts geht. Die CDU stellt sich kommentarlos hinter das Vorgehen des Oberbürgermeisters. Die AfD gibt sich angesichts des skurrilen Kuriositätenkabinetts diplomatisch, liebäugelt aber mit einer Gaststätte. Nur: Wer soll dieses riesige Gebäude gewinnbringend bespielen? So marode die alten Mauern, so sehr hängt das einzigartige Gesamtkunstwerk Zabkas in der Luft. Im erklärungslosen Raum der Illusionen fehlt der Halt.

Die Institutionalisierung des Lügenmuseums wollte in Sachsen nie richtig gelingen. Das verschmitzte Narrenstück, das Lügenmuseum vertreten durch seine imaginäre Gründerin, das Huhn Emma von Hohenbüssow, in den Museumsverband Brandenburgs aufnehmen zu lassen, kassierte das sächsische Verwaltungsgericht. 2018 sprach es dem Lügenmuseum den Museumsstatus ab. Dennoch nimmt die Webseite die Museumsdefinition des International Council of Museums in Anspruch. Am Elbradweg gelegen zieht es auch ein internationales Publikum an. Unterstützungsbriefe aus aller Welt trudeln angesichts der Kündigung ein. Allerdings glänzt es weit mehr mit kreativem Schalk als mit der peniblen Einhaltung von Brandschutz- oder Hygienebestimmungen über Besuchertoiletten.

Gewitzt unterläuft es bürokratische Bedingungen und hängt in einer Adaption von Duchamps «Fountain» ein Pissoir vor dem Hintergrund einer Deutschlandfahne an die Wand.* Dazu gesellen sich eine Büste des Pionierpaten Ernst Thälmann mit Stacheldrahtkrone und eine roh gezimmerte Leiter, auf deren abgebrochener Sprosse das Wendeversprechen prangt: «Aufschwung Ost». Der Geist des Lügenmuseums aus der künstlerischen Gegenbewegung der DDR weht bis weit in die neue BRD hinein und straft deren Verheissungen ebenso pointiert wie charmant Lügen.

Die störrische Widerständigkeit aus den autoritären DDR-Zeiten verschwand im Osten auch nach der Wende nie, nicht zuletzt der neuen Besitzverhältnisse wegen. Das Kapital für Investitionen kommt – so auch im Fall Frielings – bis heute hauptsächlich aus dem Westen. Entpuppt sich Frieling am Telefon auch als begeisterter Fan des Lügenmuseums, der aufrichtig Bedauern über die gescheiterte Zusammenarbeit äussert, prallen dennoch Mentalitäten aufeinander. Die berechtigten Pläne eines erfolgreichen Unternehmers für ein rentables Museum im Spannungsverhältnis zwischen DDR-Propaganda und fake news stehen neben Zabkas Erlebnissen während eines Stipendiums in Stuttgart. Die Künstler aus dem Westen hätten mit Blick auf ihr persönliches Fortkommen kaum ihre Ateliers geöffnet. Unter den osteuropäischen Künstlern dagegen habe ein reger Austausch stattgefunden. Auch Zabka geht es um Begegnungen bei seinen künstlerischen Interventionen, aber auch um die Kompromisslosigkeit seines Lebenswerks.

Im Gegensatz zu anderen im Osten allerdings wehrt sich Zabka mit Humor. Was also, sollten sich dereinst wieder dubiose Heimatschützer um den Gasthof Serkowitz bewerben? Der Oberbürgermeister lässt verlauten, die Stadt würde sich «ähnlich wie 2010 verhalten». Nur: Was soll das angesichts angespannter Finanzen heissen? Da täte die Heiterkeit von Zabkas Kunst mit ihrer demokratischen Spontanität nur gut. Ein finanziell tragfähiges Konzept, so der Oberbürgermeister, habe Zabka jedoch nie vorgelegt.

Deutlich wird nach Gesprächen mit Unterstützern von Stadtratsfraktionen über Kreatives Sachsen bis zum Landesverband Bildende Kunst: Die Abhängigkeit des Lügenmuseums von einer einzigen Person stellt bei aller Anerkennung der Idee und der Strahlkraft mittlerweile eine Sackgasse dar. Sein humorvolles Spiel mit Sinn und Unsinn, Wahrheit und Lüge treibt Zabka jedenfalls so weit, dass es in letzter Konsequenz zulasten seiner selbst geht. Ein Verlust wäre die Schließung des Lügenmuseums nicht nur für das Radebeul des behäbigen Karl-May-Museums. Aber vielleicht wird sich die Kündigung des Oberbürgermeisters ihrerseits als kreative Intervention erwiesen haben, sollte sie den mittlerweile über siebzigjährigen Zabka nämlich zu einem tragfähigen Konzept bewegen. Eine gGmbH sei, wenn das nicht gelogen ist, jedenfalls im Gespräch.

 

* Anmerkung auf Bitte der Betreiber:innen des Lügenmuseums hin: Die erwähnte Deutschlandfahne ist eine DDR-Fahne mit ausgeschnittenem Symbol. Die Stiftung Aufarbeitung verwendet eine solche Fahne als Logo. Allerdings verdeckt das Pissoir das Zentrum der Fahne, sodass nicht zu erkennen ist, um welche Fahne es sich handelt.

 

  1. Ja so kann man es auch beschreiben:
    75 Jahre Grundgesetz
    34 Jahre Einheit im Wossilande
    und nun wird es spannend.

    Gelingt auch eine 35 jährige friedliche Revolutionserinnerung – die paragmatisch lebendig
    aufzeigt: Respekt vor einer über 40 jährigen Lebensleistung und Künstlerkarriere. Und wie darstellbar nun bis 09.11.24? Und darüber hinaus?

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