SchlagwortOstdeutschland

Eine Kirchenruine als Kunstraum

 

Dieser Text erschien am 20. September 2025 in leicht redigierter Fassung unter dem Titel «Diese Kirche wird zu Kaisersaschern» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

 

Wer in der Kirche von Pobles steht, hat Erde unter den Füßen und Himmel über sich. Längst ist der verrottete Dachstuhl eingstürzt. Übrig sind die nackten Mauern. In der Kirche, wo einst David Ernst Oehler, der Großvater Friedrich Nietzsches, als Pfarrer geamtet hatte, feierte das Dorf letztmals 1964 Gottesdienst. Die Sanierung hintertrieb die SED. Das Baumaterial verschwand nach und nach ebenso wie das Inventar: von der Orgel über die Kirchenbänke bis zu den Bodenplatten. Der Kirchenschmuck, einige große Bilder aus der Cranach-Schule, seien Hehlergeschäften im Devisenhandel der DDR zum Opfer gefallen, heißt es. Besagter Hehler soll später in Lettland bei Mafiageschäften erschossen worden sein.

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Polanyis Pendel und Migration in Ostdeutschland

 

Dieser Text erschien am 30. Mai 2025 in redigierter Fassung unter dem Titel «Sachsen braucht Migration,
aber ohne falsche Versprechungen» im Feuilleton der Sächsischen Zeitung.

 

Wie Menschen reagieren Gesellschaften unter Druck sensibel auf Bemerkungen von aussen. Ich – ein Schweizer in Sachsen – bin mir dessen bewusst. Umgekehrt trifft zu, dass manches aus der Binnenperspektive nicht ausreichend in den Blick kommt. In seiner Dresdner Rede diskutierte der beliebte Soziologe Steffen Mau einmal mehr Transformation. Karl Polanyi, der zumindest dem Titel nach – «Die grosse Transformation» (1944) – das einschlägige Werk zum Thema verfasst hat, fehlt in den Debatten um Transformation in Ostdeutschland weitgehend. In «Lütten Klein» taucht er lediglich verschämt in einer Fussnote auf und im jüngsten Buch «Ungleich vereint» (2024) kommt Mau nicht mehr auf ihn zurück. Sicherlich lässt sich einwenden, dass Polanyis Buch bereits achtzig Jahre alt und seine Thesen in der Wissenschaft selbstredend umstritten sind.

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Wochenkrippen in der DDR: Eine Geschichte von Frauen und Kindern

 

Dieser Text erschien am 14.12.2024 gekürzt um den letzten Absatz unter dem Titel «Ein Blick auf die Kripppen» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

 

Unerreichbar schaut das Fenster auf das Kind herab. Unerreichbar bleibt die Welt für das Kind. Immer unerreichbarer werden dem Kind im kahlen Raum die Eltern, bis es sie womöglich vergisst. Auf dem Boden liegt ein Teddybär so verlassen, wie das Kind unter dem Fenster steht.

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