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Polanyis Pendel und Migration in Ostdeutschland

 

Dieser Text erschien am 30. Mai 2025 in redigierter Fassung unter dem Titel «Sachsen braucht Migration,
aber ohne falsche Versprechungen» im Feuilleton der Sächsischen Zeitung.

 

Wie Menschen reagieren Gesellschaften unter Druck sensibel auf Bemerkungen von aussen. Ich – ein Schweizer in Sachsen – bin mir dessen bewusst. Umgekehrt trifft zu, dass manches aus der Binnenperspektive nicht ausreichend in den Blick kommt. In seiner Dresdner Rede diskutierte der beliebte Soziologe Steffen Mau einmal mehr Transformation. Karl Polanyi, der zumindest dem Titel nach – «Die grosse Transformation» (1944) – das einschlägige Werk zum Thema verfasst hat, fehlt in den Debatten um Transformation in Ostdeutschland weitgehend. In «Lütten Klein» taucht er lediglich verschämt in einer Fussnote auf und im jüngsten Buch «Ungleich vereint» (2024) kommt Mau nicht mehr auf ihn zurück. Sicherlich lässt sich einwenden, dass Polanyis Buch bereits achtzig Jahre alt und seine Thesen in der Wissenschaft selbstredend umstritten sind.

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Die Politik des freien Verses

 

Dieser Text erschien am 22. Mai 2021 in gekürzter Fassung unter dem Titel «Das Gedicht hat seine Fesseln abgelegt, nun irrt es ziellos umher» in der Neuen Zürcher Zeitung.

 

Der freie Vers? Ein alter Hut. – Seine Wurzeln reichen bald drei Jahrhunderte zurück, etwa zu Klopstock. Und sein aufsehenerregender Durchbruch zu einem dominanten literarischen Phänomen Mitte des 20. Jahrhunderts ist auch schon mehr als ein halbes Jahrhundert her. Mittlerweile erscheint, was Gedicht sein will, meist im freien Vers. Manche atmen darob auf und sagen immer noch mit dem Pathos des Neuen: endlich kein Metrum, endlich kein Reim mehr. Das Gedicht ist an nichts mehr gebunden.

Seither fehlen neue Gedichtformen weitgehend. Und ich werde ein Unbehagen nicht los, das mit dem ästhetischen Prinzip des freien Verses zusammenhängt. Dieses will dem dichtenden Menschen und seinen Gegenständen im Einzelnen gerecht werden. Aber immer wieder beschleicht mich der Verdacht, der freie Vers könnte, obwohl er als Ausdrucksform dem Einzelnen gerecht werden möchte, im Ganzen ungerecht – und damit unfrei – sein.

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